Eine Frau nahm in einer alten Kirche Platz und ließ ihren Blicken freien Lauf. Während sie den Kopf anhob und das Gewölbe über dem Altar betrachtete, entdeckte sie ein goldenes Dreieck mit einem Auge darin. Das Dreieck leuchtete hell umgeben von Strahlen. Während sie dieses ungewöhnliche Bild betrachtete und darüber nachdachte, erklang plötzlich von der Empore ein Gesang. Die Kantorin sang aus dem Schöpfungspsalm 139 unter anderem aus vollem Herzen vor:
1 HERR, du erforschest mich und kennest mich.
2 Ich sitze oder stehe auf, so weißt du es; du verstehst meine Gedanken von ferne. 3 Ich gehe oder liege, so bist du um mich und siehst alle meine Wege.
16 Deine Augen sahen mich, da ich noch nicht bereitet war,
und alle Tage waren in dein Buch geschrieben,
die noch werden sollten und von denen keiner da war.“
Gott sieht unser Leben, er sieht seine ganze Schöpfung. Die Welt bleibt nicht sich selbst überlassen. Sie wird von Gott angeschaut. Indem Gott diese Welt ansieht, schenkt er ihr Anerkennung, Liebe und Nähe. Gott segnet diese Welt als seine gute Schöpfung, wie es im Buch Genesis nach getaner Arbeit heißt:
„Gott sah alles an, was er gemacht hatte: Es war sehr gut.“ (Gen 1,31)
In unserem Leben kommt es darauf an, den liebenden Blick Gottes zu erwidern und auch diese Welt als Gottes Werk mit liebenden Augen zu betrachten. Bei einer Pilgerfahrt konnte ich kürzlich die Schönheit der Natur bewundern, darüber staunen und mich freuen. Wenige Tage danach überflutete Hochwasser die ganze Region. Wir wissen und sehen mit den Augen des Glaubens, dass die Welt nicht nur Gottes gute Schöpfung ist, sondern ein Werk, das aufgrund der Sünde an so vielen Stellen defekt erscheint. Um so mehr sind wir als Christenmenschen zur Bewahrung der Schöpfung aufgerufen.
Die Kirchen des Westens und Ostens begehen vom 1. September 24, dem Tag, an dem das byzantinische Kirchenjahr beginnt, bis 4. Oktober 2024, dem Fest des heiligen Franziskus eine Zeit der Schöpfung. Papst Franziskus erinnert unermüdlich daran, dass uns die Schöpfung geschenkt ist und wir zur Verantwortung gerufen werden. In seinen Gebetsanliegen im Monat September heißt es: „Wir beten, dass jeder von uns den Schrei der Erde und der Opfer von Umweltkatastrophen und Klimawandel mit dem Herzen hört und sich persönlich verpflichtet, für die Welt, in der wir leben, zu sorgen.“
„Gott hat dich im Blick.“ So hat es die deutsche Mystikerin Hildegard von Bingen (+1179) gesagt. Diesen Blick schaute die Frau in der Kirche, als sie dieses ungewöhnliche Dreieck über dem Altar erblickte. Beflügelt und erfüllt vom Wort Gottes, in seinem liebenden Blick geborgen, ging die Frau anders hinaus. Man erzählt sich, die Frau habe angefangen, bewusster zu leben und mit ihren Augen zu strahlen.