„Es gibt ihn, den Massenmord ohne Schuldgefühl.“ Mit diesem Zitat von Asmus Finzen, einem für die Psychiatrie in Wunstorf verantwortlichen Arzt, in den Jahren 1975 bis 1985, leitete die Ärztliche Direktorin der KRH Psychiatrie Wunstorf, Iris Tatjana Graef-Calliess, die Gedenkveranstaltung und Verlegung von zwei Stolperschwellen im KRH-Park ein, an der nahezu 300 Personen aus allen gesellschaftlichen Gruppierungen teilnahmen.
Dieser Massenmord sei auch kein Privileg des Dritten Reiches, heißt es in Finzens Buch „Massenmord ohne Schuldgefühl“ weiter. „Wenngleich er von den Nationalsozialisten in nie dagewesener Weise perfektioniert wurde“, der anfällige Zeitgeist geschickt dafür von ihnen genutzt wurde, rassistisch geprägte Vorstellungen zu instrumentalisieren, was letztlich zu brutalen Morden führte. Graef-Calliess weiter: „Asmus Finzen saß in diesem Krankenhaus an einem Schreibtisch, an dem einer seiner Vorgänger 1941, auf sogenannte höhere Weisung hin, für mehr als 200 der ihm anvertrauten Patienten auf dem Dienstweg, eine sogenannte planwirtschaftliche Verlegung einleitete.“
Die Psychiatrie dürfe nie wieder hierzu missbraucht werden, betonte sie. Daher sei die Verlegung der Stolperschwellen auf dem KRH-Grundstück ihr persönlich und der gesamten Klinik ein ganz besonderes Anliegen. „Es ist für mich eine Ehre, sie zur Verlegung zweier Stolperschwellen, im Namen der KRH-Psychiatrie Wunstorf, zu begrüßen“, richtete sie sich an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, über deren große Zahl sie sich sehr überrascht und erfreut zeigte. „Gemeinsam mit dem Verein Psychiatrie bewegt und dem Arbeitskreis Erinnerungskultur der Stadt Wunstorf, war es uns ein überaus großes Anliegen, mit der Verlegung der Stolperschwellen die Erinnerungskultur in Wunstorf lebendig zu halten.“
Die Aufarbeitung der Rolle der damaligen Provinzial Heil- und Pflegeanstalt Wunstorf als Drehkreuz für Deportationsaktionen in West- und Norddeutschland, begann bereits in den 1970er-Jahren mit dem damaligen Direktor der Psychiatrie Wunstorf Asmus Finzen, und wurde seitdem fortgeführt. „Es ist für uns enorm wichtig, die Rolle der damaligen Provinzial Heil- und Pflegeanstalt Wunstorf im Nationalsozialismus zu verstehen und aufzuarbeiten“, hob die Ärztliche Direktorin hervor. „Die Stolperschwellen lassen uns dieses Thema als Psychiatrie und damit wichtiges Standbein der Gesellschaft nicht vergessen.“
Die Stolperschwellen, angelehnt an die Stolpersteine des Künstlers Gunter Demnig, erinnern an die im Nationalsozialismus von der damaligen Provinzial Heil- und Pflegeanstalt Wunstorf 1940 und 1941 ausgehenden Deportationen. Deportiert wurden Patientinnen und Patienten, die an psychiatrisch-neurologischen Erkrankungen wie Schizophrenie, Epilepsie, Demenz oder Enzephalitis litten, nicht deutschen oder „artverwandten“ Blutes waren, als geistesgestörte Straftäter oder strafrechtlich Verurteilte in Psychiatrien untergebracht waren, verdeutlichte Stadtarchivar Klaus Fesche in einem eindrucksvollen Vortrag.
Die damalige Provinzial Heil- und Pflegeanstalt Wunstorf wurde 1940 und 1941 als Sammel- und Deportationsort von 25 psychiatrischen Einrichtungen in ganz West- und Norddeutschland genutzt. Von Wunstorf aus wurden Patientinnen und Patienten in das „Alten Zuchthaus“ in Brandenburg/Havel oder andere Einrichtungen gebracht und dort im Rahmen der „T4-Aktion“ ermordet. Direkt aus der Provinzial Heil- und Pflegeanstalt Wunstorf waren sechs Patienten und eine Patientin von der Deportation betroffen, so Fesche.
Andreas Tänzer, Vorsitzender des Fördervereins Psychiatriebewegt und ehemaliger Chefarzt der Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie, ergänzt: „Wir als Förderverein der KRH Psychiatrie Wunstorf begleiten und fördern die Aufarbeitung der Geschichte dieser Institution. Die Verlegung der Stolperschwellen ist eine logische Konsequenz aus unserer Spurensuche.“
Heute sei das Krankenhaus ein friedlicher Ort. „Aber das war eben nicht immer so. Unser Krankenhaus in Wunstorf, mit seinen erschreckenden Geschichten, die hier passiert sind“, führte Andreas Varnholt, Sprecher des Arbeitskreises Erinnerungskultur Wunstorf, aus. „Wir finden es gut, dass sich das Haus zu einer speziellen Geschichte bekennt. Zu speziellen Kapiteln, die hier auf dem Boden passiert sind. Mit Menschen, die hier beschäftigt, mit Menschen, die hier Patienten waren.“ Die Stolperschwellen wurden entwickelt vom Verein „Psychiatrie bewegt e.V.“, einer Gruppe im Krankenhaus, die eingebettet sei in den Arbeitskreis Erinnerungskultur, der für die ganze Stadt arbeitet. Auch er hatte nicht erwartet, dass so viele Menschen an der Verlegung teilnehmen. „Ich dachte, es kommen nur 30 bis 40 Menschen. Jetzt sind es so viele. Sehr beachtlich.“ Und das in Zeiten, so Varnholt umschreibend und doch deutlich weiter, „wo zum Teil über sehr verwirrende politische Strömungen in den abendlichen Nachrichten berichtet wird.“ Gerade so, als hätte man aus den zurückliegenden 100 Jahren nicht gelernt.
Varnholt kündigte an, dass am 14. November auch in der Innenstadt die ersten Stolpersteine verlegt werden. Dazu wird der Künstler Gunter Demnig erneut nach Wunstorf kommen, der an diesem Tag die Stolperschwellen in zwei Zugängen – aus Richtung Stadtmitte/Südstraße und Richtung Bahnhof/Hölty-Gymnasium – gesetzt hat.