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Stephan Weichert (Foto: ste)

Kommentar von Stephan Weichert

Erinnerungskultur ist ein relativ neuer Begriff aus den 1990er Jahren, nachdem man zuvor eher eine Geschichts-Verdrängungskultur in Sachen „Drittes Reich“ pflegte. Übrigens auch in der Schule, zumindest in der Hildburg-Realschule, die ich besuchte. Judenvernichtung, Verfolgung und Vernichtung von Sinti und Roma, Tötung „unwürdigen“ weil behinderten Lebens war dort kein Thema. Das ist heute zum Glück anders und Schulen sind wichtige Orte für Erinnerungskultur geworden, siehe die jetzige Aktion des Gymnasium Ernestinum. Erinnerungen verändern sich permanent, alte werden gelöscht, neue hinzugefügt und bestehende Erinnerungen werden dadurch modifiziert. Also braucht es allein schon aus dem rein technischen Verständnis von Erinnerungen eine immer wiederkehrende Auffrischung, auch, wenn die heutigen Generationen – nicht einmal ich - so überhaupt nichts mit dem menschenverachtenden System vergangener Zeiten zu tun haben. Aber sie, die heutigen Generationen, könnten es wieder tun. Der Rechtsruck in der Gesellschaft ist schmerzlich festzustellen. Und deshalb ist Erinnerung in stetiger Wiederkehr richtig und wichtig. Ich war in der glücklichen Lage, einen 1:1 Kontakt mit Menschen gehabt zu haben, die in Rinteln während der Nazizeit lebten. Opa „Schorse“ erzählte bei einer Flasche Pomona Stachelbeer-Fruchtwein (tropfte wie Öl aus der Flasche), wo er in Rinteln niemals einkaufen würde: „Das waren die, die die Juden durch die Stadt getrieben haben!“ Auch wenn ich die Namen der Geschäfte, die – sofern noch existent - heute natürlich durch eine neue Generation ohne Erbschuld betrieben werden, nicht nennen werde, hat sich das in die Erinnerung eingebrannt. Und ja, wir brauchen eine ständige Auffrischung von Erinnerungen, damit man auch die Angst vor einem System von Unterdrückung, Ausgrenzung, Rassismus, Antisemitismus, Unfreiheit und Massenmord ständig wach gehalten wird. Der AfD-Faschist Björn Höcke sagte einmal sinngemäß einem Journalisten auf eine für ihn unbequeme Frage, dass er, Höcke, ja vielleicht bald mal etwas im System zu sagen hätte und er diesem Journalisten dann die Arbeit schwer machen würde. Ein Anfang von etwas, das ich nie erleben möchte. Man sollte also mit seinen Gedanken viel öfter über die Geschichte und die Geschichten von Menschen „stolpern“.
Schüler der 13. Klassen des Gymnasium Ernestinum im Leistungskurs Geschichte sorgten zusammen mit Lehrer Thomas Weißbarth für den Ablauf der Veranstaltung.  (Foto: ste)

Wenn Gedanken über Geschichten stolpern sollen

Rintelns Geschichte im Dritten Reich ist zwar nicht geprägt von ausgeprägten Kriegshandlungen, von umfangreicher Zerstörung, von einer Vielzahl von Toten auf den Straßen oder ständiger Angst der Menschen vor Luftangriffen, aber in Sachen Verfolgung von Juden, Deportation, Vertreibung, Zerstörung von Geschäften und öffentlichem Hass gegen Menschen, die zuvor Nachbarn, Freunde, Geschäftsleute waren, ist auch Rinteln nicht verschont geblieben. Daran wollen die Stiftung „Spuren“ von Gunter Demnig, Lizenz und Herstellung der „Stolpersteine“, die Familien Böttcher aus Leipzig und Begemann aus Maintal erinnern und sie finanzieren auch die „Stolpersteine“, klären die biografische Sachverhalte. Die Stadtverwaltung Rinteln sorgt für die erforderlichen bürokratischen Erlaubnisse und die technische Umsetzung und Thomas Weißbarth setzt mit Schülern der 13. Klasse des Gymnasium Ernestinum im Leistungskurs Geschichte die Ablaufgestaltung um. In Rinteln liegen bereits etwa 30 dieser „Stolpersteine“ und am Donnerstag wurden neue Steine in der Seetorstraße am Haus Nummer 4 verlegt. Dort lebten Ida und Bernhard Stamfort, die nach Recherche von Herbert Begemann am 20. Juli 1942 einen Bus eines Obernkirchener Unternehmens bestiegen, der sie und die mitfahrenden Thekla Schlüter, Louis Katz und Rosa Wetzel zur Israelitischen Gartenbauschule Ahlem bei Hannover bringen sollte. Als registrierte Juden waren sie auf Weisung des „Reichssicherheitshauptamtes“ in Berlin verhaftet worden und wurden nun, begleitet von zwei Rintelner Polizisten, für den Weitertransport ins Ghetto Theresienstadt zur Sammelstelle Ahlem befördert. Es war die zweite und abschließende Deportation Rintelner Juden, nachdem vier Monate zuvor bereits 21 Personen über Ahlem nach Warschau verschleppt worden waren. Das verschleiernd als „Altersghetto“ charakterisierte Konzentrationslager Theresienstadt war kein Ort zum Leben. Noch vor Jahresende, am 22. November 1942, starb Ida Stamfort. Ihr Ehemann Bernhard folgte ihr am 27. Januar 1943 (Quelle: Herbert Begemann aus Maintal, früher selbst Rintelner). Die jetzt verlegten „Stolpersteine“ sollen an die Familie Stamfort erinnern und immer wieder sollen hier die Gedanken der vorbeiziehenden Menschen über die Geschichte und die Geschichten der Menschen „stolpern“.
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