Es ist für mich das Adventslied 2022, weil es so kraftvoll und ungehalten ist und zugleich doch voller Erwartung und Hoffnung. Kein anderes Lied gibt meinem Ärger über den Krieg, der Kinder in ukrainischen Kellern frieren lässt und den vielen pulsierenden Fragen in mir einen angemesseneren Klang. Verwunderlich, dass mir ein so altes Lied heute nahekommt.

Gedichtet wurde es Anfang des 17. Jahrhunderts von Friedrich Spee von Langenfeld in Kaiserswerth am Rhein. Er war ein großer Gegner der Hexenprozesse seiner Tage und dem hilflosen Versuch, Schuldige für die damaligen Missstände ausfindig zu machen, zu verurteilen und hinzurichten. Seine Schwägerin wurde einige Jahre später Opfer eines solchen Prozesses. Zugleich tobte der Dreißigjährige Krieg in Europa. Das war die Hölle auf Erden: Brutale Kämpfe, Plünderei, Brandstiftung und immer wieder Pestausbrüche. Er selbst kam später mit nur 44 Jahren ums Leben, weil er sich bei der Pflege pestkranker Soldaten infizierte.

Friedrich hatte genug zu seufzen, zu fluchen und zu schluchzen im Jammertal der Welt. Und doch sucht sein Lied bis heute Jesus, den Trost der ganzen Welt. Sein Lied ist ungehalten, ungeduldig und drängend dynamisch. Genauso wie das Wort des Propheten Jesaja, das es aufnimmt: „Ach, dass du, Gott den Himmel zerreißt, herabfährst zur Erde und die Berge der Überforderungen zerfließen lässt.“ (Jesaja 63,19)

Es gibt genug Situationen im Leben, die einem die Sprache verschlagen. Doch hoffentlich nicht die Hoffnung. Die Adventslichter erinnern uns an Jesus, den Heiland und Retter der Welt, der bei uns ist und einmal alles zurechtbringen wird. Von ihm können wir etwas erwarten! Das Lied beginnt übrigens mit einem „o“. Also nicht mit einem Wort, sondern einem Geräusch gewordenen Gefühl. Diesem Laut, Schrei, Seufzer oder Stöhnen, das so viel mehr sagt als tausend Worte: „O Heiland, reiß die Himmel auf“ und hilf dort, wo Menschen in Not sind. Amen. Viel Freude beim Hören des Liedes.