Schaumburger Wochenblatt: Warum ist die Corona-Zeit für Menschen mit psychischen Erkrankungen besonders schwer? Grimpe: Jetzt fallen die gewohnten Strukturen weg, die für psychisch Belastete sehr wichtig sind. Plötzlich müssen sie selbst ihren Alltag strukturieren, was sie unter Druck setzt. Es entsteht viel Zeit zum Grübeln – und gerade Menschen mit Depressionen neigen dazu, den Fokus auf alles Negative zu legen und die Berichterstattung Kann die eigene Panik zuspitzen. Außerdem bleibt viel Zeit zum Schlafen, was bezüglich der Depression kontraproduktiv ist. Behrendt: Die aktuelle Zeit ist für die Menschen schwierig greifbar; die Bedrohung ist für schwer zu verstehen und besonders für Menschen mit Ängsten existenzbedrohend. Die Isolation und der soziale Verzicht sind schwierig auszuhalten. Die Menschen werden auf Arbeit zuhause zurückgeworfen, wodurch ihnen Struktur fehlt. Schaumburger Wochenblatt: Man könnte doch sagen: „Ist doch super, nun musst Du dich nicht mehr zwingen, unter Menschen zu gehen, oder? Grimpe: Für Menschen mit sozialen Ängsten mag das wohl zuerst den Anschein haben und tatsächlich fällt es vielleicht manchen jetzt leichter, über den Marktplatz zu gehen. Aber der Verlust von sozialen Kontakten tut ihnen nicht gut. Deshalb ist es wichtig, die technischen Kommunikationsmöglichkeiten wie Telefon, Mail, WhatsApp oder Messanger zu nutzen. Behrendt: Das ist doch genau das, was die Krankheitsanteile ausmacht. Die Krankheitsanteile wollen den Rückzug, die Isolation – sie bekommen dadurch Futter. Die Frage für Betroffene ist: „Wie kann ich bewusst gegensteuern?” Schaumburger Wochenblatt: Was hilft Ihnen, mit der vielen Zeit alleine klarzukommen? Grimpe: Ich mache es mir zuhause jetzt besonders nett. Ich mache Musik, gehe alten Hobbys nach, kümmere mich um meine Pflanzen, den Frühjahrsputz, schaue alte Filme und kann endlich ein Buch lesen, das schon seit langer Zeit im Regal verstaubt. Soziale Kontakte pflege ich über die besagten Netzwerke. Behrendt: Mir hilft, dass ich in meiner Therapie Methoden, beispielsweise die Selbstreflexion, gelernt habe. Ich mache mir bewusst, welche Ressourcen ich habe. Wichtig ist mir ein strukturierten Tagesplan, in den ich eintrage, wann ich aufstehe, wann ich arbeite oder Freude kontaktiere. Das Corona-Update höre ich mir nur einmal täglich an. Schaumburger Wochenblatt: Was würden Sie anderen seelisch belasteten Menschen mit auf den Weg geben? Grimpe: Struktur ist wichtig! Eine Idee ist, abends einen Plan für den nächsten Tag zu machen. Versucht, mindestens einmal täglich einen Spaziergang an der frischen Luft zu machen. Sucht nicht nach den neuesten Katastrophenmeldungen, sondern schaut nach Dingen, die euch Mut machen und motivieren. Behrendt: Es ist schwer, Ratschläge zu geben. Mir hilft, in Krisensituationen Chancen zu sehen und mich zu fragen, welche Möglichkeiten sich ergeben. Dazu gehören beispielsweise neue Telefonkontakte oder „Fenstergespräche” mit den Nachbarn oder neuer Kontakt zu alten Freunden. Die Verbindungen im familiären Umfeld werden teilweise wieder stärker. Schaumburger Wochenblatt: Wo bekomme ich in diesen Tagen Hilfe? Grimpe: Es gibt viele Hilfsmöglichkeiten für psychisch belastete Menschen. Eine Möglichkeit ist der Krisenkompass, der kostenlos im App Store zu finden ist. Wir haben eine lange Liste mit Angeboten – meldet euch gerne telefonisch unter 05721-9956276 oder per Mail an info@eutb-schaumburg.de an uns. Behrendt: Es gibt auch WhatsApp-Chats der Selbsthilfe, die gut funktionieren. Die Burghofklinik bietet eine telefonische Beratung an. Foto: pp