Seit 31 Jahren ist er Wunstorfs Wirtschaftsförderer. Bald verabschiedet sich Uwe Schwamm aus dem Job. Dann beginnt für den 63-Jährigen die Ruhephase seiner Altersteilzeit. Für die Nachfolge ist mit Jan Cord Ziegenhagen bereits gesorgt (wir berichteten). Es ist eine sanfte Übergabe der Verantwortung, denn viele Termine erledigen die beiden derzeit zu zweit. Der eine stellt sich vor, der andere verabschiedet sich. Schwamm hat Spuren hinterlassen. Er sagt: Wunstorf hat eine Transformation hinbekommen und ist gut aufgestellt. Im Gespräch mit dem Stadtanzeiger blickt er auf drei Jahrzehnte Wirtschaftsförderung zurück.
(tau) Herr Schwamm, der Wunstorfer Stadtanzeiger wird in diesen Tagen 50 Jahre alt. Sie sind seit über 30 Jahren in der Wirtschaftsförderung. Wie wichtig ist eigentlich die Zusammenarbeit mit den Medien?
Schwamm: Sehr wichtig, weil es in der Stadt um die 3000 Gewerbebetriebe gibt. Mit allen regelmäßig zu sprechen und in Kontakt zu kommen, ist gar nicht möglich. Trotzdem müssen wir natürlich präsent sein, uns immer wieder in Erinnerung bringen. Und da kommt die Presse ins Spiel. Über die gedruckten Zeitungen können wir erstens die Leute erreichen und zweitens für Initiativen werben, von denen wir uns eine Belebung von Wirtschaft und Handel versprechen. Ich bin sehr froh darüber, wie die Zusammenarbeit in den letzten 30 Jahren geklappt hat.
(tau) Wenn Sie ihre Zeit als Wirtschaftsförderer kurz zusammenfassen müssten, wie würde das aussehen? Was war prägend?
Schwamm: Da ist natürlich der große Strukturwandel zu nennen, den Wunstorf während dieser 30 Jahre erfolgreich vollzogen hat. Dem geht allerdings eine nicht so schöne Entwicklung voraus. Zu Beginn meiner Laufbahn hier in Wunstorf haben Schwergewichte des produzierenden Gewerbes wie etwa Langnese oder Fulgurit ihre unternehmerische Tätigkeit eingestellt. Später kamen Nistac und Kali und Salz dazu, weniger bekannt sind vielleicht Forstmann aus Großenheidorn - ein Transformatorbauer - und Nolte Dampfkessel. Es war die Zeit der Tertiärisierung, wie wir Fachleute sagen - also eine Verschiebung von Produktion hin zur Dienstleistung. Das war ein allgemeiner Trend, der aber in Wunstorf voll zugeschlagen hat.
(tau) Das kam aber nicht überraschend?
Schwamm: Nein, Stadt und Stadtrat haben diese Entwicklung bereits vor meiner Zeit in den 1980er Jahren vorausgesehen und die Entscheidung getroffen, die Gewerbegebietsentwicklung stärker voranzutreiben. Diesen Prozess durfte ich dann ab den 1990er Jahren mit begleiten. Er hält im Übrigen bis heute an. Das Gewerbegebiet Süd hat sich inzwischen zu einem wirtschaftlichen Schwerpunkt entwickelt mit kleineren und größeren Betrieben, in denen zum Teil auch wieder produziert wird. Aber nicht nur.
(tau) So ein Gewerbegebiet setzt natürlich auf eine gewisse Anziehungskraft. Hier sind unter anderem auch viele Handwerker und Spezialisten zu finden, die ihren Standort früher woanders hatten. Leiden also die Ortsteile unter dieser Entwicklung?
Schwamm: Nein, die Reihenfolge ist eine andere. Viele Familienbetriebe wollen sich nicht deshalb vergrößern, weil es ein neues Gewerbegebiet gibt, sondern weil sich Technologien und Auftragslage mit der Zeit verändern. Erweiterungen an alteingesessenen Standorten - häufig auch in Wohngebieten - sind nicht mehr möglich. Daher ist es der logische Schritt, dorthin zu gehen, wo Flächen zur Verfügung stehen. Das ist mit Strukturwandel und Entflechtung gemeint. Wunstorf hat da ein gutes Angebot mit dem Gewerbegebiet. Und in den Ortsteilen werden ehemals gewerblich genutzte Flächen wiederum für die Wohngebietsentwicklung frei. Eine Win-Win-Situation.
(tau) Wenn Sie einmal auf das Gewerbegebiet schauen, welche Ansiedelung gefällt Ihnen besonders?
Schwamm: Ich habe da keine Lieblinge, da ich gerne jeden Betrieb – ob groß oder klein – unterstützt habe. Aber es gibt durchaus bemerkenswerte Geschichten, wie den Aufstieg einer Firma, die sich mit einer fortschrittlichen Röntgen- und CT-Prüfung beschäftigt. Da geht es um die zerstörungsfreie Prüfung von Materialien. Mit den großen Apparaten kann man auch in Überraschungseier hineinsehen, wie Kinder schon bei Besuchen erleben durften. Mit dieser Idee kam vor 25 Jahren ein Röntgeningenieur zu mir, der im Gewerbegebiet ein Unternehmen gründete. Heute kennt man Phoenix|x-ray weltweit, ist Marktführer und gehörte zwischenzeitlich zu General Electric. Heute firmiert die Marke unter Waygate Technologies, ein Unternehmen, das wiederum zu der Gesellschaft Baker Hughes gehört. Toll ist auch die Entwicklung von Brugg Pipes mit rund 150 Mitarbeitern oder das Unternehmen KDH, das sich mit Werbetechnik befasst, quasi aus einer Garage heraus gestartet ist und heute rund 60 Mitarbeiter beschäftigt.
(tau) Abgesehen davon ist Wunstorf aber kein Ort mehr für große Namen?
Schwamm: Das stimmt - wenn man vom neuen Airbus-Wartungszentrum in Großenheidorn absieht. Sonst haben wir in der Wunstorfer Wirtschaftsszene viele verborgene Champions, die weltweit erfolgreich sind, aber gleichzeitig für den Verbraucher relativ unbekannt sind. Diese Edelsteine findet man in den Ortschaften z.B. die Firma Hahlbrock in Großenheidorn oder die Startups, die sich im Innopark von K+S in Bokeloh angesiedelt haben, aber auch im Gewerbepark mit Tierarzt24, ATS und vielen anderen Unternehmen.
(tau) Welche Entwicklung hat Sie denn im Rahmen des Strukturwandels überrascht?
Schwamm: Das ist die Logistik. Ihr Aufstieg ist wiederum durch die weltwirtschaftlichen Umwälzungen und das Konsumverhalten der Menschen bedingt. Die Produktion von Waren findet zum Teil auf anderen Kontinenten am anderen Ende der Welt statt, wird auf riesigen Containerschiffen transportiert und muss vor Ort erst eingelagert und dann ausgeliefert werden. Große Lager sind entstanden, in denen sich auch sehr viel tut, bis hin zur Automatisierung, um den Mangel an Fachkräften auszugleichen. Das ist eine der spektakulärsten Entwicklungen, die keiner auf dem Zettel hatte. Denn ein Kernanliegen der Wirtschaftsförderung war immer, Arbeitsplätze entstehen zu lassen. Heute sind ganz andere Faktoren entscheidend.
(tau) Was ist denn in den vergangenen 30 Jahren nicht so gut gelaufen?
Schwamm: Wenn ich mich über eins ärgere, dann, wie sich das Verhältnis zur Werbegemeinschaft entwickelt hat. Dabei haben wir gemeinsam viel erreicht, zum Beispiel mit der Marke „Schönste Innenstadt der Region”. Die Innenstadt mit ihren Geschäften, Cafés und Restaurants wirkt auf viele Besucher anziehend. Sie kommen gerne hierher. Der öffentlich ausgetragene Streit, der zum Teil auch ins Persönliche ging, hat dagegen niemanden weitergebracht. Dabei war es immer eine Stärke aller Beteiligten, dass sie trotz Meinungsverschiedenheiten zum Wohle der Innenstadt an einem Strang gezogen haben. Leider hat das in den letzten zwei bis drei Jahren nicht mehr geklappt. Das finde ich sehr schade.
(tau) Und gibt es Dinge, die Sie gerne noch erreicht hätten?
Schwamm: Ein Hotel für Steinhude zum Beispiel. Als ich vor 30 Jahren anfing, war eine der ersten Stationen das ehemalige Schäker-Lager am Sturmhafen. Damals konnte man mit dieser Architektur noch nicht so viel anfangen, weshalb sie verschwand und ein Wohngebäude an der Stelle errichtet wurde. Das wäre heute vermutlich anders. Der Industrielook ist inzwischen populär und es gäbe sicherlich einige Investoren, die aus so einem Gebäude ein schickes Hotel gemacht hätten. Nun ist es anders gekommen, aber das Thema Hotel bleibt aktuell, es gibt Ideen und Interessenten für einen anderen Standort. Da laufen die Gespräche aber noch. Ich hätte auch gern noch einen bekannten Betrieb mit 1000 Industriearbeitsplätzen nach Wunstorf ins Gewerbegebiet geholt. Die Chancen standen wirklich nicht schlecht und es wäre nach 30 Jahren sicherlich ein Ausrufezeichen gewesen. Es sollte aber nicht sein.
(tau) Insofern bleibt dann also noch ein bisschen Arbeit für Ihren Nachfolger?
Schwamm (lacht): So ist es.