Die Geschichte ist die von Lena Grigoleit, geboren in Litauen im Jahr 1910 in dem kleinen Dorf Bittehnen. 1989 hat Ulla Lachauer sie kennengelernt während einer Reise durch die Gegend. Daraus ist eine Freundschaft der doch scheinbar so unterschiedlichen Frauen gewachsen – und die Neugierde Lachauers auf die Lebenserinnerungen von Lena. Sie schrieben sich, sie telefonierten, irgendwann kam die Schriftstellerin für zwei Wochen zu Besuch nach Bittehnen. Gerade zur richtigen Zeit, denn soeben hatte Lena Grigoleit ein wenig Land zugesprochen bekommen, das nun darauf wartete, bestellt zu werden. Gespräche gab es in den zwei Wochen viele, die intensivsten vermutlich beim gemeinsamen Pflügen und Eggen. Was die Schriftstellerin dann wieder mit nach Hause brachte, war das Rohmaterial für das Buch „Paradiesstraße”. Dort, in dieser Paradiesstraße, die ihren Namen von den Dorfbewohnern bekommen hatte, weil es dort immer so fröhlich zuging, wurde Lena Grigoleit geboren. Dort wuchs sie auf, von dort wurde sie – die Deutsche – von den Russen nach dem Zweiten Weltkrieg nach Sibirien deportiert, wo sie in Erdhöhlen lebte, um nicht ein Opfer der Kälte zu werden, von der sie sagte: „Die frisst einen auf!” Fünf Jahre später kam sie zurück nach Bittehnen, hoffte darauf, dass sie an ihr altes Leben anknüpfen konnte und wurde in vielerlei Hinsicht enttäuscht. Kaum etwas war noch so, wie es einmal war und kaum jemand der ehemaligen Nachbarn hatte sich entschlossen zurückzukommen. Bereut hat es Lena Grigoleit dennoch nicht. Als der Eiserne Vorhang fiel, machte sie sich auf den Weg, Freunde zu besuchen, die sie zuvor nicht erreichen konnte. Ihr Resümee nach den Besuchen: Wenn ihr Leben in Bittehnen doch wesentlich einfacher war, so wollte sie es doch nicht eintauschen gegen die Segnungen des Westens. In rund zwei Stunden, mit Auszügen aus dem Buch und mit dem Erzählen von ihren Begegnungen mit Lena Grigoleit, hat Ulla Lachauer deren ganze Lebensgeschichte aufgeblättert. Besonders und faszinierend ist der Abend für die rund 70 Zuhörer sicherlich wegen der Geschichte der Protagonistin geworden. Für manche deshalb, weil sie selbst Beziehungen nach oder sogar Wurzeln in Litauen haben. „Mein Vater stammt aus dem Dorf Bittehnen”, erzählte eine Frau. Andere sind schon auf den Spuren des Buches nach Litauen gereist. Und wieder andere haben vielleicht Lust verspürt, dieses selbst einmal zu sehen. Besonders ist der Abend aber auch durch Lachauer selbst geworden. Diese Frau mit der Stimme, der so gut gelauscht werden kann, hatte für ihr Buch die Ich-Perspektive gewählt – und das so treffend sprachlich umgesetzt, dass man sich ab und zu vergegenwärtigen musste, dass es nicht ihre eigenen Lebenserinnerungen sind, aus denen sie liest. Trefflich ist die Sprache aber auch ansonsten: Schlicht und einfach, mit Beschreibungen der Gegend, der Umstände und der Gefühle, die niemals auf Effekte setzen, deren Schlichtheit aber bewirken, dass man zu sehen, zu hören, zu fühlen meint, was sich im Leben Lena Grigoleits abspielt. Das i-Tüpfelchen des Abends war das begleitende Harfenspiel von Mariette Hoppe – in Rehburg-Loccum als Virtuosin auf diesem Instrument schon lange bekannt. Eingeladen hatte der Förderverein der historischen Kuranlage zu der Lesung innerhalb seines Veranstaltungsreigens „Bad Rehburger Winterforum”. Dessen Programm geht am 15. Dezember mit „Nordic Christmas Jazz” mit Helene Blum und Harald Haugaard weiter – das allerdings bereits ausverkauft ist. Karten für den Poetry Slam „Mächtig Winterworte” am 10. Januar sind bislang noch verfügbar. Foto: jan